Annalena Baerbock — die Hindenburg im Sommerkleid

— Die LumpenpazifistIn —


1925 beschrieb Theodor Lessing als linksliberaler Kommentator des Zeitgeschehens in der Weimarer Republik den für das Amt des Präsidenten kandidierenden ehemaligen Oberbefehlshaber des Russlandfeldzugs im ersten Weltkrieg Hindenburg mit den Worten:

"Wenn man in das gute väterliche Antlitz des alten Hindenburg blickt, so fällt zunächst auf: die fast furchtbare Schwere dieses Antlitzes. Henrik Ibsen gebraucht von solchen Menschen, die nicht loskommen können von der Begrenzung ihres Selbst, die Formel: 'Sie sind eingespunden im Fasse des lch.' Solch ein Eingespundener, die schwere Masse der Erde, der gewiß nichts ferner liegt als das leichte Spielen und Tänzertum, solch ein Ernster und Gediegener ist der alte Hindenburg. [...] Bismarck hat von sich selber das schöne Wort gebraucht: 'Ich bin mit vollem Bewußtsein auf einer .gewissen Stufe der Entwicklung stehen geblieben'. Das hatte Hindenburg nicht nötig. Die Natur hat ihn so einfach, so gradlinig und selbstverständlich gewollt, daß es überhaupt nichts zu entwickeln gab; nur die unbedenkliche Entfaltung eingeborener Vorurteile. Deutscher, Preuße, Christ, Monarchist, Soldat, Kamerad, [...]" Und etwas weiter im Text: "Wenn man gewöhnt ist, die ungeheuere Allseitigkeit und irre Buntheit des Lebens mit der Kraft wissenden Geistes zu bewältigen, dann blickt man mit der Rührung und dem Lächeln, mit dem man auf die Blume und den Vogel blickt, auch auf eine Mannesgestalt, die mit der ganzen Schönheit der Unwissenden durch Meere von Blut, durch Ströme von Galle, über Berge von Hindernissen kinderleicht hinwegschreitet von ungeheueren Verantwortungen bedrückt, und doch im Kerne unverantwortlich, weil sie nicht einmal imstande, das Recht der anderen Seite und die Doppelnatur alles Lebendigen auch nur zu sehen."

Beim ersten Lesen dieses Zitats wird vielen nichts ferner liegend erscheinen, als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit diesem politischen Urahn in eine Reihe zu setzen. Wirkt sie doch nicht schwermütig und ist ihr doch Spielerei und Tänzerinnentum nicht fremd, ja tirrilliert sie doch leicht wie ein Vogel über Leichen hinweg, wenn sie Leopardenwitzchen reißt und sich damit auf den Deutschen Panzer gleichen Namens bezieht, einem der ausgefeiltesten Mordwerkzeuge der modernen deutschen Rüstungsindustrie. Und doch fiel mir bei ihrer Selbstdarstellung an unterschiedlichen Orten immer wieder dieser Text ein "eingespunden im Fasse des Ich." Hilfreich, um dies zu verstehen, ist hier vielleicht ein Blick über den deutschen Tellerrand. Angesichts ihres aktuellen Chinabesuchs, schrieb der chinesische Journalist Alex Lo in der South China Morning Post über die deutsche Außenministerin: "Baerbock erinnert mich an ein Internet-Meme von vor einiger Zeit: 'Tut mir leid, aber ich kann dich nicht hören, weil ich so großartig bin.'"(1)

Das heißt in der Ignoranz, der Unfähigkeit zum realen Mitfühlen mit Anderen, jenseits der Trunkenheit am eigenen Gefühl, und bezogen auf die Verweigerung komplexen Denkens in Widerspruchsverhältnissen ist Annalena Baerbock ganz deutsche Politikerin in hindenburgscher Tradition, ganz würdige Nachfarin dieses politischen Urahns. Und deutsch, deutscher geht es kaum 'Am deutschen Wesen soll die Welt genesen'. Ein Wesen als dessen idealtypische Verkörperung sie sich vor allem selbst sieht. Auch hier Hindenburg ähnelnd, nur ohne die Zurückgenommenheit, hält sie sich doch offensichtlich für die bessere Kaiserin/Kanzlerin, für die Vertreterin des Richtigen und Guten, von dem es außerhalb ihrer Vorstellungswelt nichts von wert geben kann.

Annalena Baerbock ist Verkörperung all dessen, was sich als toxische postdemokratische Frauenidentität bezeichnen ließe, einer aus Inkompetenz zu kritischen Reflektion der eigenen Moral, des eigenen Handelns und seiner Folgen sich nährende moralische Überheblichkeit, die das Leiden der Anderen, derer die nicht ihrer Weltanschauung huldigen, nicht nur für hinnehmbar und der Rede nicht Wert, sondern für die Erfüllung der moralischen geschichtlichen Notwendigkeit hält. Auch sie ist "nicht einmal imstande, das Recht der anderen Seite und die Doppelnatur alles Lebendigen auch nur zu sehen." Auch hier nicht anders fühlend und handelnd als ihr politischer Urahn Hindenburg, der vergleichbar der Außenministerin für Menschen außerhalb seines Weltbildes ebenfalls kein Mitleid kannte. Wurde in den 1980er und 1990er Jahren zurecht die MittäterInnenschaft von Frauen im System thematisiert, scheint dies jedoch vergessen bei denjenigen, die heute über die Außenministerin schreiben.

Sicher, sie verkörpert nicht die militärische Disziplin und Schwere des Feldmarschalls, dies wäre auch nicht mehr zeitgemäß, sie weiß ein angemesseneres Bild von ihr für die modernen sozialen Medienkanäle herzustellen. Sie ist eine lachende und tanzenden Hindenburg im Sommerkleid und doch kein Gran weniger "eingespunden im Fasse des lch."

Noch eine Bemerkung zum Abschluss: Wenn Annalena Baerbock oder Viktoria Nuland eine menschenverachtende Politik betreiben, wie viele ihrer männlichen Kollegen dies auch tun, ist ihnen das als Frauen nicht besonders vorzuwerfen. Frauen müssen keinen höheren moralischen Kriterien genügen als Männer, die Außenministerin verhält sich einfach so, wie es ihre Funktion im Herrschaftsgefüge eines sich immer weiter in die Lebensverhältnisse der Menschen hineinfressenden Finanz- und Digitalkapitalismus bedingt.(2) Die Menschenverachtung ist ihr Job und zum Job gehört auch diese gut zu retuschieren. Die lila Tünche, die sie dafür benutzt, ihre feministische Schaufensterdekoration, ist dabei zuerst einmal ein Angriff auf den Feminismus, den sie für ihre Selbstdarstellung missbraucht, ohne dies überhaupt selbst wahrzunehmen. Was darauf verweist, dass Feminismus für sie nur ein beliebig nutzbare leere Hülle ist.

Dies dem Feminismus anzulasten ist absurd. Diejenigen, die sich wirklich mit Feminismus befassen wollen, sollten sich dazu feministische Bücher und Texte der letzten Jahrzehnte durchlesen und die reale Geschichte der feministischen Bewegung betrachten, die vielfältig und widersprüchlich ist, jedoch zu großen Teilen herrschaftskritisch, und nicht glauben, was ihnen auf Twitter oder gar im Spiegel oder der Bildzeitung als Feminismus präsentiert wird.


Originaltext der LumpenpazifistIn — Hannover, April 2023




Endnoten

(1) — Zitat nach: https://www.nachdenkseiten.de/?p=96479

(2) — Annalena Baerbock steht nur für ein Marketing einer menschenverachtenden Politik als feministisch — dabei beweist sie gleichzeitig durch ihr Handeln, dass Frauen keine andere Politik machen als Männer, nur das sie diese zur Zeit noch anders verkaufen kann, mit einer Art mythologischen Anrufung 'Feministischer Außenpolitik', die sehr viel mit Militarismus und Unmenschlichkeit und mit Feminismus wenig zu tun hat, es sei den darunter wird einzig und allein verstanden, den Frauenanteil in den Zirkeln der Herrschenden zu erhöhen. Sie hat nur noch einmal bewiesen, dass Frauen all das auch können, was Männer können, das ist aber nichts, was nicht bereits bekannt war. Das Problem ist dabei nicht, dass Frauen wie Annalena Barbock genauso unverantwortlich, fühllos und asozial wie Männer agieren, es ist dumpf patriarchaler Sexismus besondere moralische Forderungen an Frauen zu stellen — dies heißt jedoch, dass der Versuch von Annalena Barbock, sich über eine Art weiblichen moralischen Exzeptionalismus hervorzuheben, keine Basis hat.

Wie jeder Exzeptionalismus, sei es der US-Nationalismus, der deutsche Nationalismus des Kaiserreichs, oder der Exzeptionalismus der weißen EuropäerInnen oder der des Adels u.a., mit dem diese Gruppen sich jeweils als etwas Besonderes, als über den Anderen Stehende, von den üblichen Regeln Ausgenommene, begriffen haben, ist auch dieser weibliche bzw. moralische Exzeptionalismus primär Tarnschild einer Herrschaftspraxis, da er wie jeder Exzeptionalismus vor allem versucht eine übergeordnete Position für diejenigen zu begründen, die ihn für sich in Anspruch nehmen. Dieser moderne moralische Exzeptionalismus baut in Deutschland dabei auf einen nach dem zweiten Weltkrieg revitalisierten deutschen Exzeptionalismus auf, der die alte deutsche Großmannssucht mit einem neuen Narrativ überdeckt und gleichzeitig in neuer Form dupliziert. Ein Narrativ, welches den Holocaust als neuen 'negativer Gründungsmythos' instrumentalisiert, in dem es Deutschland beschreibt, als eine Nation, die durch Überwindung der Verdrängung der Verbrechen des NS-Staates und die Schuldanerkennung zu einer Faschismus-Vergangenheits-Bewältigung gefunden hat und zu einer Sühnenation geworden ist, mit überlegener moralischer Natur, insbesondere auch gegenüber den Hauptopfern Deutschlands, also Israel und Russland. (Der Text greift hier Gedanken von Gabriele Dietze 'Deutscher Exzeptionalismus' auf, interpretiert sie dabei aber teils gegen den Strich — https://transversal.at/blog/Deutscher-Exzeptionalismus?hl= —.)

Genau an diesen neuen deutschen moralischen Exzeptionalismus knüpft Annalena Baerbock mit ihrer 'feministischen' Außenpolitik und ihrem moralischem Feldzug gegen Russland an. Sie verknüpft dabei den neuen deutschen moralischen Exeptionalismus mit einem feministischen Exzeptionalismus, der als eine Art Opferexzeptionalismus, den Opfern sexistischer Herrschaft eine besondere moralische Qualität zuschreibt. Und schreibt den deutschen Exeptionalismus dadurch in die neuste Legitimationsform kapitalistischer Herrschaft ein.

Denn die Instrumentalisierung eines Opferexzeptionalismus, der den Opfern sexistischer, rassistischer, u.a. Gewaltverhältnisse besondere moralische Qualitäten zuschreibt und dann herrschaftsnahe 'VertreterInnen' des Opferkollektivs zur Legitimation der eigenen Politik einspannt, ist die aktuellste Methode mit der die Nomenklatura des globalen Kapitals eine Legitimationsgrundlage für ihre immer weitergehende innere und äußere Kolonialisierung des Menschen und der Natur im Kontext einer eskalierenden kapitalistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsdynamik schafft. Wesentlich entwickelt von semistaatlichen Nicht-Regierungs-Organisationen neuen Typs, die überwiegend finanziert werden durch Stiftungen des Digital- und Finanzkapitalismus oder staatsnahe Fördermittel.

Ein solcher Opferexzeptionalismus ist dabei nicht nur aufgrund dieser Instrumentalisierung und seiner Funktion für Ausbeutung und Herrschaft fatal, er richtet sich über kurz oder lang auch immer gegen die Opfer, da dadurch an sie moralische Ansprüche gestellt werden, die kein Mensch innerhalb der bestehenden systhemischen Verhältnisse erfüllen kann. Zu sehen ist dies im neuen Antisemitismus unserer Zeit nach dem Holocaust. Ein klassischer Vorwurf an Israel als Staat ist, das dieser Staat genauso gewaltsam agiert, wie viele andere Nationalstaaten auf der Welt und dies als besonders verwerflich definiert wird aufgrund dessen, dass auch hier mit einer Art Opferexzeptionalismus argumentiert wird, also einer Ideologie, die von Opfern aufgrund ihrer Erfahrung eine besonders hohe Moral erwartet. Es gibt sicher viele berechtigte Kritiken am Handeln der israelischen Regierung, wie am Handeln vieler Regierungen, die besondere Fokussierung auf Israel, und die besondere Moralisierung, ist nichts anderes als ein Opferexzeptionalismus, der sich nun gedreht hat und gegen die ehemaligen Opfer richtet und dadurch gerade anschlussfähig wird für den klassischen Antisemitismus. Wir werden im Kontext Feminismus ähnliches erleben, falls nicht klar dieser Art Ideologie der 'Frauen als die besseren moralischeren Menschen' entgegengesteuert wird. Diese Ideologie ist im Kern nicht feministisch, sondern antifeministisch, da sie die alten Doublebindanforderungen an Frauen nochmal auf der Ebene der Teilhabe an Macht dupliziert. Frauen, Schwarze, wer auch immer, müssen aber kein besserer Mensch sein, um ein Recht auf gleiche Teilhabe und Respektierung der eigenen Menschenwürde zu haben, das Menschsein muss reichen. Das heißt, wenn überhaupt, dann steht Baerbock für eine antifeministische Politik. Dies bedeutet indes auch, das jede herrschaftskritische Politik sich gegen Herrschaft ansich wenden muss, unabhängig vom Geschlecht, Rasse, u.a..




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Aktualisiert 30.04.2023